Inhalt.
Wir sind nie allein.
Wie kann es geschehen, dass wir uns in dieser Fülle allein fühlen?
Was können wir tun, wenn wir uns dennoch einsam fühlen?
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„Niemand ist eine Insel!“, schrieb bereits im 16. Jahrhundert der englische Dichter John Donne. Seine Worte wurden von Filmen und Büchern übernommen und sind uns in ihrer Bedeutung glasklar: Wir alle leben inmitten von den Myriaden anderer Lebewesen. Eines davon ist faszinierender als das andere: angefangen von der einzigartigen Rosenblüte über die fleißige Ameise bis hin zum wunderbaren Wesen Kind. Das Leben um uns zeigt sich explosiv in seiner Vielseitigkeit. Dazu kommen all die – scheinbar – leblosen Gebilde wie Berge, Flüssen, das Meer und das Firmament. Schließlich sind wir von den Tausenden von Gegenständen umgeben, die die Menschheit selbst geschaffen hat.
Wie kann es geschehen, dass wir uns in dieser Fülle allein fühlen?
Als ob es in unserem Leben nur UNS gäbe? Ist es, weil wir vielleicht längere Zeit niemanden getroffen haben? Oder weil uns schon lange niemand angerufen hat? Oder weil niemand mehr zu Besuch kommt? Diese äußere Geschehnisse sind schwierig und können in unserer Gefühlswelt Leiden verursachen. Doch sind sie keine Indizien, dass wir ALLEIN sind.
Wir sind in jeder unserer Fasern, in jeder unserer Zellen und in jedem Atom vom Göttlichen durchdrungen. In allem in und um uns ist der göttliche Hauch und Wille. Wenn wir diese Präsenz als Farbe - Gold oder Rot - wahrnehmen könnten, würde auch in unserer tiefsten und größten Einsamkeit alles in Gold oder Rot leuchten. Auch wir selbst würden in dieser Farbe strahlen und unser Strahlen würde sich mit allem unter, über und um uns verbinden. Wer sich dieses Bild regelmäßig vor Augen führt, braucht keine Erklärung für die Aussage: „Wir sind nie allein!“
An dieser Stelle müssen wir den gravierenden Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit beleuchten. Ein Mensch kann ganz auf sich gestellt sein, sich als einziger in seiner Umwelt bewegen, und sich doch nicht einsam fühlen. Er kann aber auch in einer Partnerschaft oder in einer Familie leben, von Kollegen und Freunden umgeben sein und sich dennoch einsam fühlen.
Alleinsein ist ein örtlicher Ausdruck, er hat nichts mit einem Gefühl zu tun. Wer sich allein fühlt, muss sich nicht einsam fühlen und umgekehrt. Einsamkeit jedoch ist ein innerlicher Ausdruck, es ist ein Gefühl, das Leiden verursachen kann, aber nicht muss. Es gibt viele Menschen, die bewusst die Einsamkeit suchen.
Wir sind also niemals allein, da wir in jedem Teil von uns selbst und in jedem Teil der Gegenwart von Gott begleitet sind.
Was können wir tun, wenn wir uns dennoch einsam fühlen? Wir müssen den tiefen Sinn der Einsamkeit erkennen und schätzen lernen. Und wir müssen sie anerkennen als Möglichkeit des geistigen Wachstums und der Weiterentwicklung.
Ein Mensch ist ein soziales Wesen. Biologisch sind wir in Rudeltiere, die wissen, dass ihre Überlebenschancen - auf sich gestellt - sehr gering wären. Ein Baby wird in eine Familie geboren und muss über mehrere Jahre gehegt und gepflegt werden, um sich positiv zu entwickeln. Kinder ohne Zuwendung würden – das haben Erfahrungen aus dem letzten Jahrhundert gezeigt – an psychischer Verwahrlosung sterben. Auch außerhalb der Familie bildet der Mensch Gemeinschaften, im Kindergarten, in der Schule, in der Firma, beim Ausüben seiner Hobbys. Der Philosoph Martin Buber schlussfolgerte, dass wir alle uns nur durch Begegnung definieren und erfahren können. So sind ein Zusammenleben und der Austausch mit anderen für jeden Menschen lebensnotwendig. Und doch hat die Einsamkeit ihren Sinn. Damit wir diesen erkennen können, müssen wir sie aus einer anderen Perspektive als der des Leidenden betrachten.
Nehmen wir wieder das Beispiel des Babys: Es erfährt die erste Einsamkeit, wenn es den Leib der Mutter verlässt. Eine größere Verbundenheit wie diese wird es nie wieder in seinem Leben haben. Bei jedem Schritt und jedem Wort entfernt es sich weiter von dieser einstigen Symbiose mit seiner Mutter, die neun Monate dauerte. Der Eintritt in den Kindergarten und die Schule bedeuten weitere Trennungen und erzeugen immer wieder Gefühle des Verlassenseins.
Erst als Erwachsene begreifen wir dann, dass jede Weiterentwicklung automatisch eine neue Einsamkeit auftut. Aber es handelt sich nicht um eine negative Einsamkeit, sondern um ein freiwilliges Getrenntsein vom bisher Bekannten. Wenn wir dies nun aus der spirituellen Sichtweise betrachten, bedeutet es, dass jede spirituelle Entwicklung zu einem gewissen Grad in eine Einsamkeit führen muss.
Gerade die spirituelle Entwicklung führt letztlich in die Einsamkeit. Buddha – Siddhartha – saß allein unter der Pappelfeige und konnte nur durch diese Einsamkeit seine Erleuchtung erlangen. Doch er war in seiner Einsamkeit unter dem Bodhi (Baum der Erleuchtung) niemals allein. Auch Jesus suchte oft bewusst die Einsamkeit auf. Um zu trauern, um Gespräche mit Gott zu führen, um sich auf seinen Tod vorzubereiten. Doch er war niemals allein, und er wusste dies. In den Psalmen heißt es: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich.“
Auch Künstler sind ein gutes Beispiel dafür, dass ihr Tun, ihr schaffendes und kreatives Gestalten nur aus Einsamkeit kommen kann. Sie setzen sich ihrem Werk aus. Dieses Werk ist ein Teil von ihnen, sie sind also mit diesem allein, und sie müssen, um es zu entwickeln, einsam sein.
Je mehr wir suchen und uns weiterentwickeln, umso mehr müssen wir die Einsamkeit aushalten. Viele suchen sie sogar bewusst. Meistens sind es jene Menschen, die zutiefst gewiss sind, dass sie in den Momenten der tiefsten Einsamkeit am meisten mit dem Großen Ganzen verbunden sind. Wer eine Einsamkeit nicht will, niemals sucht und nicht aushält, versagt sich seinen spirituellen Fortschritt. Er muss so bleiben, wie er ist.
Ohne Einsamkeit gibt es keine menschliche Entwicklung und gibt es keine Spiritualität.
Wenn wir uns das Beispiel der christlichen, hinduistischen oder buddhistischen Klöster ansehen, kommen wir auf den gleichen Schluss. Die Einsamkeit wird für die Weiterentwicklung gesucht und als etwas Köstliches empfunden. So wird sie auch niemals Leiden für die Betroffenen verursachen. Doch jeder Asket, Eremit oder Mönch ist auch ein Mensch und damit ein soziales Wesen. Warum leiden sie nicht an ihrer Einsamkeit?
Ihre Kraft entsteht durch das tiefe innere Wissen, dass sie trotz extremer, oft jahrelanger Isolation alles andere als allein sind. Je länger ihre Einsamkeit dauert, umso größer wird ihr Wissen um die Verbundenheit mit dem Kosmos. Sie werden bereichert durch ihr geistiges Tun. Sie sind verbunden mit der geistigen Welt und spüren die Anwesenheit aller nicht-körperlichen Wesen (Seelen, Engel, Gott, und wie auch immer sie in den verschiedenen Kulturen oder Religionen genannt werden). Sie sind in der ärmlichsten Zelle, der tiefsten Höhle und am höchsten Berg trotz totaler Abgrenzung vom Rest der Welt niemals einsam und niemals allein.
Bei Gefühlen der Einsamkeit ist es hilfreich, die Augen zu schließen und alle Geräuschquellen auszublenden: zu sein, zu atmen und uns mit allem DA DRAUSSEN zu verbinden. Wir fühlen mit jedem Atemzug die Verbundenheit zu allen Menschen, zu allen Tieren und Pflanzen. Wir stellen geistig die Verbindung zu den Gesteinen, dem Wasser, dem Wind, dem Licht und der Dunkelheit her. Schließlich fühlen wir eine Verbindung zur geistigen Welt, die uns trägt.
Sie ist es, die uns auf diese Erde entlassen hat und sie ist es, die uns hier auf allen Wegen begleitet. Sie ist es auch, die uns einst wieder empfangen wird. Gestalten wir bewusst unsere Einsamkeit und leiden wir nicht mehr an ihr. Viele Bücher und Meditationen versuchen, uns dabei zu unterstützen, einsame Stunden zu zelebrieren und an ihnen zu wachsen.
Am Ende unseres Lebens geht jeder den letzten Weg durch die Pforte des Todes. Wir erleben wie bei der Geburt einen neuen Abschnitt, diesmal nicht IN das Leben auf der Erde, sondern AUS dem Leben. Dies wird die letzte Phase sein, in der wir durch die totale Einsamkeit die höchste spirituelle Entwicklungsstufe erreichen werden - verbunden mit der geistigen Welt. Alleinsein oder Einsamkeit werden dann zu Worthülsen, die keine Bedeutung mehr besitzen.
Einsamkeit hat einen tiefen Sinn: Durch sie können wir uns mit dem verbinden und darin auflösen, was uns trägt. Sie bringt uns dem Göttlichen am nächsten. Wer spirituell leben will, muss auf Einsamkeit gefasst sein, aber er sollte auch gleichzeitig wissen: Am Ende wird diese Einsamkeit zur Fülle, zum Geheimnis unseres Daseins, zu Gott führen.
Denn: Wir sind NIE allein.
»Ich sehe meine Motivation vor allem darin, die Erwartungen meiner Klienten stets zu übertreffen.«
Emanuell Charis
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