Xenophon.
Der griechische Autor Xenophon hinterlässt uns mit seinen Schriften einen überzeugenden Einblick in das antike Griechenland. Einst Feldherr, Politiker und Philosoph tritt er uns als Augenzeuge der griechischen Gesellschaft des 4. Jahrhunderts v. Chr. entgegen.
Xenophon trägt nicht nur durch seine sachliche Ausdrucksweise und den klaren Sprachstil zum Erhalt wesentlichen kulturellen Wissens bei, er überliefert uns vielmehr eine philosophische Grundlage, ein stabiles Fundament unserer heutigen Vorstellung von Demokratie und gelungener Führung.
Leben.
"Aller Reichtum ist nur demjenigen etwas nütze, der ihn recht zu brauchen weiß."
Xenophon lebt zwischen 426 v. Chr. und 355 v. Chr. im antiken Griechenland. Er genießt das Privileg, in eine aristokratische Athener-Familie geboren zu werden. Bildung und Reichtum stehen ihm offen, sodass er als junger Mann von wachem Verstand als Folge einer schicksalhaften Begegnung beschließt, sich den Lehren des Sokrates zu öffnen.
9 Jahre folgt er seinem Lehrer. Es ist zu vermuten, dass er in dieser Zeit Bekanntschaften zu anderen Schülern des Philosophen pflegt, tatsächlich belegen lässt sich dies jedoch kaum. Hinweise in unterschiedlichen Werken beider Philosophen lassen darauf schließen, dass Xenophon zumindest mit Platon (einem der bekanntesten Schüler Sokrates) bekannt war, ihr Verhältnis schien jedoch eher negativer Natur zu sein.
"Zur Feindschaft aber führen auch Streitsucht und Zorn, zum Groll die Habgier, und zum Hass führt der Neid."
Zwischen 401 – 399 v. Chr. begleitet Xenophon den Feldzug des Kyros gegen dessen Bruder, den persischen König Artaxerxes II. in der Funktion eines zivilen Berichterstatters. Der ehrgeizige und in Xenophons Augen äußerst fähige Kyros neidet seinem Bruder die Erbschaft des Thrones und zeigt sich unzufrieden mit der eigenen Aufgabe. Er war lediglich mit der Verwaltung Kleinasiens betraut worden.
Die Unternehmung stellte sich als ein verhängnisvolles Unterfangen heraus, welches Kyros das Leben kosten sollte und Xenophon zum Führer eines angeschlagenen Heeres in schier auswegloser Situation werden ließ. Xenophon bewährt sich im Angesicht dieser Herausforderung und bleibt im Anschluss mit dem Heer bei den Spartanern.
395 v. Chr. ist er zudem in die Handlungen des Korinthischen Krieges verwickelt. Ziel der Kämpfe ist die Unabhängigkeit mehrerer griechischer Städte vom spartanischen Stadtstaat. Xenophon kämpft, wider seine Herkunft, auf der Seite der Spartaner. Dies führt zu dessen Enteignung durch die Obrigkeit seiner Heimatstadt und zudem zu einer ursprünglich lebenslänglichen Verbannung aus Athen.
"Die Athener regieren die Griechen, ich regiere die Athener und meine Frau regiert mich."
Xenophon richtet sich im vermeintlichen Exil auf einem Landgut bei Olympia stattlich her. Er widmet sein Leben der Landwirtschaft und verbringt Zeit mit der Pferdezucht und auf der Jagd. Zu dieser Zeit entdeckt er außerdem die Schriftstellerei. Es entstehen zahlreiche, bis heute populäre Schriften zu sozialen, politischen und ökonomischen Themen.
Der Familienvater zieht in diesem ländlichen Idyll außerdem zwei Söhne mit seiner Frau auf.
"Gut-Glück und Gut-Handeln scheinen mir vollständige Gegensätze zu sein. Gut-Glück ist es nach meiner Meinung, wenn man von dem, was man braucht, etwas findet, ohne es zu suchen; dagegen etwas, das man gelernt und geübt hat, gut zu machen, das heißt nach meiner Ansicht Gut-Handeln. Und, wer sich so betätigt, der scheint sich mir gut zu befinden."
371 v. Chr. verliert Sparta in der Schlacht gegen Theben. Xenophon sieht sich gezwungen, die Flucht nach Korinth anzutreten. Im Laufe der Jahre kommt es zu einer Aufhebung der Verbannung durch die Athener, Xenophon kehrt vorübergehend in seine Heimat zurück, stirbt letztendlich jedoch 355 v. Chr. in Korinth.
"Es ist aber auch eine Schande, aus eigener Vernachlässigung alt zu werden, ehe man sich in der vollen Schönheit und Kraft seines Körpers, deren er fähig ist, gesehen hat."
Werk
Xenophons Schriften gestalten sich durchweg sachlich und präzise ausgeführt. Es kann von einer sehr realitätsnahen Darstellung der erwähnten Umstände und Ereignisse ausgegangen werden.
Große Bekanntheit erlangten die Darstellungen der Führungsprinzipien antiker Feldherren in „Anabasis“ und auch seine Ausführungen „Über die Reitkunst“ über das Training und den Erwerb von Reitpferden sind bis heute von Interesse.
Des Weiteren verdanken wir ihm mehrere ökonomische und sozialpolitische Werke, z. B. „Die Erziehung des Kyros“, „Gespräch über die Haushaltsführung“, „Mittel und Wege dem Staat Geld zu verschaffen“ und weitere Ausführungen über das Jagen, die Haushaltsführung und historische Ereignisse.
Für die Philosophie von Interesse sind die von ihm festgehaltenen Gespräche und Denkanstöße im Zusammenhang mit den Lehren des Sokrates.
Anabasis – Der Marsch der Zehntausend
"Sieh ein Gebirge, einen Berg, ein Meer, einen Fluss – und du hast alles gesehen."
Anabasis, der „Hinaufmarsch von der Küste ins Landesinnere“ ist schließlich eines der bekanntesten Werke Xenophons. Es entstand ca. 370 v. Chr. im Rahmen der Sesshaftigkeit, Jahre nach der Teilnahme des Autors an den eigentlichen Feldzügen. Das Werk umfasst 7 Bücher und beinhaltet entgegen der Erwartung eher weniger detaillierte Berichte des eigentlichen Schlachtgeschehens. Von Interesse sind vielmehr die historisch korrekten Darstellungen damaliger Sitten und Gebräuche. Xenophon beweist eine hervorragende Beobachtungsgabe in seinen ausführlichen Darstellungen von Land und Leuten und spickt seine Berichte zudem mit anschaulichen Ausführungen zu Flora und Fauna am Rande der Schlachtfelder.
"Vier Eigenschaften gehören zu einem Richter: höflich anzuhören, weise zu antworten, vernünftig zu erwägen und unparteiisch zu entscheiden."
Besonderes Augenmerk liegt innerhalb seiner Betrachtungen auf den differenzierten Arten, Menschen zu führen und solche mit unterschiedlichen Prioritäten zu einem Ziel zu vereinen. Er teilt seine Erfahrungen und Beobachtungen zu Gruppendynamiken und Führungsqualitäten und beschreibt Probleme, die in diesem Rahmen auftreten, und Vorgehensweisen, die greifen, wenn strategische Ausrichtungen grob in Frage gestellt werden.
"Ein Herrscher soll nicht nur der bessere Mann als jene sein, über die er herrscht, sondern er muss auch seinen Zauber auf sie übertragen."
Nachdem der Feldzug ihn unerwartete selbst zum Anführer gemacht hat, stellt er explizite Beobachtungen zu den Qualitäten guter Führungskräfte an. Empathie und Konfliktfähigkeit scheinen ihm wesentliche Voraussetzungen zur kompetenten Leitung größerer Gruppen von Menschen zu sein.
Dabei wird dem Leser deutlich, wie gering die Macht führender Persönlichkeiten entgegen den Erwartungen zur damaligen Zeit tatsächlich ausgefallen sein musste.
Jeder Teilnehmer eines Feldzuges, egal welchen Ranges, sah sich für seinen Verbleib selbst verantwortlich. Es galt das Training der eigenen Fähigkeiten zu bewerkstelligen und die eigene Ausrüstung, sowie alltägliche Lebensmittel zu beschaffen. Außerdem mussten Knappen organisiert werden, die den Transport dieser Gegenstände versahen und die Pflege der Ausrüstung übernahmen. All diese Aufgaben oblagen somit der individuellen Organisation.
Die Söldner damaliger Armeen sahen sich in ihren Entscheidungen als freie Bürger und bestritten dieses Recht selbstverständlich im Rahmen jeder einzelnen die Gesamtheit eines Heeres betreffenden Entscheidung.
Kurswechsel und taktische Erwägungen, wie sie die Strategen (die Feldherren) planten, mussten vor der Vollversammlung bestehen und galten nur, wenn sie als basisdemokratische Entscheidung Zuspruch fanden.
Eine einzelne Führungskraft war ohne die Unterstützung der Basis in diesem Kontext machtlos.
"Die Naturen, welche die besten zu sein glauben, bedürfen am meisten der Zügelung."
Trotz der nüchternen und schnörkellosen Ausdrucksweise ist Xenophons Darstellung des Feldzuges des Kyros gegen dessen Bruders ein historisches Schauspiel von erhebender Dramaturgie.
Der Schüler des großen Philosophen Sokrates wird 401 v.Chr. von einem Bekannten als Zivilist zur Begleitung eines Feldzuges des jungen, aber einflussreichen Kyros angeregt.
Kyros ist der jüngere Sohn des dahingeschiedenen persischen Königs. Gemäß seiner Stellung muss er zusehen, wie die Herrschaft seines Vaters in die Hände seines älteren Bruders, Artaxerxes II., übergeht, dessen Fähigkeiten er entsprechend geringschätzt. Zudem will ein Freund, Tissahernes, von einem geplanten Mordanschlag von Seiten des älteren Bruders Kenntnis gewonnen haben.
Ein Umstand, der den Hass des jüngeren Erben nur noch höher kochen lässt. Er folgt der Eingebung blind und bedenkt nicht die Position des vermeintlichen Freundes: Tissahernes hatte bis zu dessen Übernahme die Stadthalterposition inne, die nun Kyros(wenn auch abwehrend) bekleidet.
Zunächst jedoch kehrt Kyros unbehelligt in diese Position nach Sardes zurück und beginnt von hier aus, unauffällig die Niederlage des verhassten Bruders zu planen. Sein Geist scheint nicht ruhen zu wollen, bis er die Herrschaft über das gesamte Perserreich sein Eigen nennen darf.
"Aber freilich, wie viele bemühen sich der Früchte wegen um ihre Bäume, um den allerertragreichsten Besitz, dagegen, um die Freundschaft bekümmern sich die meisten nur lässig und ohne Lust."
Er agiert zunächst im Verborgenen, sammelt Truppen an verschiedenen Stellen und lenkt Sie in kleinere Angriffskriege. Den wild zusammengewürfelten Söldnern ist lange Zeit nicht bewusst, dass sie in einen Krieg gegen den babylonischen Thron ziehen.
Sie schließen sich den anfangs fasst ungerichtet wirkenden Unternehmungen bereitwillig an und stellen zunächst keine Fragen. Tatsächlich scheint vielen der Aufruf Kyros gerade Recht zu kommen. Nach dem vorausgegangenen Peloponesischen Krieg blieben viele Söldner nutzlos zurück. Die Feldzüge hatten aus Bauern Krieger gemacht, die nun in Friedenszeiten ziellos durch die Straßen irrten, nicht gewillt auf die Felder zurückzukehren, zu keinem anderen Handwerk fähig, arbeitslos und demoralisiert.
"Wer aber weder irgendein Gewerbe betreibt, das den Mann ernährt, noch den Acker bestellen mag, der beabsichtigt sein Leben entweder als Dieb oder als Räuber oder als Bettler zu fristen."
Xenophon trat dem Geschehen auf Anraten eines Freundes zunächst als ziviler Kriegsberichterstatter bei. Auch er weiß nicht, dass das Heer schließlich ausziehen soll, um den amtierenden persischen König zu stürzen.
Kyros weiht nur wenige enge Vertraute in seine Pläne ein. Unter den wenigen die ansatzweisen Einblicke in das Ausmaß seiner Pläne erhalten ist auch Tissahernes. Dieses leichtfertige Vertrauen soll die jungen Feldherren bald zum Verhängnis werden, denn der Freund entpuppt sich als Verräter und reitet aus, um den König von den dunklen Plänen seines Bruders in Kenntnis zu setzen. Dieser erhält somit Gelegenheit, die eigenen Streitkräfte zu mobilisieren.
"Kein Mensch wird jemals die Wahrheit erfahren, denn selbst, wenn er sie zufällig sagen würde, würde er nicht merken, dass er sie ausgesprochen hat."
Die Natur einer solch großen Unternehmung erschließt sich jedoch früher oder später dem wachsamen Beobachter und so werden Fragen und Vermutungen unter den Söldnern laut.
Die eingesetzten Feldherren haben alle Hände voll zu tun und müssen sich ausgefallener rhetorischer Mittel bedienen, um das aufgebrachte Heer so lange wie möglich auf dem Kurs zu halten. Man bedenke, sie lenken hier kein hierarchisch strukturiertes Heer, wie wir es kennen.
Die griechischen Truppen betrachteten basisdemokratische Diskussionen und Beschlüsse als ihr gutes Recht. Kritische Fragen und Anschuldigungen waren an der Tagesordnung. Widerstand war üblich und in gewissem Rahmen gewollt. Ein Feldzug bestand aus dem Zusammenschluss freier Männer, die es von einem gemeinsamen Ziel zu überzeugen galt.
Fand der führende Stratege nicht die richtigen Worte oder brachten seine Taten sein Gefolge gegen ihn auf, lief er durchaus Gefahr, gesteinigt zu werden. Wenn nicht das, lag zumindest die Absetzung nahe. Der Posten konnte jeder Zeit durch Neuwahlen mit fähigen Personen aus den Reihen der Söldner neu besetzt werden.
Zunächst jedoch hielten die aktuellen Strategen die Truppen mit rhetorischen Mitteln, Drohungen und Versprechungen am Ball. Als sich die Wahrheit schließlich durchsetzt, haben sie über eine Route über Ephesos durch weite Gebiete Kleinasiens bereits beinahe Bagdad erreicht.
"Das Glück nie erreicht zu haben, ist nicht so hart, wie es traurig ist, es wieder zu verlieren, nachdem man es errungen hatte."
Bevor die Stadt in greifbare Nähe rückt, sehen sich die Truppen Kyros bei Kunaxa unerwartet einem übermächtigen Heer Artaxerxes II. gegenüberstehen. Die Lage erscheint aussichtslos, lässt sich jedoch durch clevere Strategien und ein resolutes Vorgehen seitens der Griechen vorerst zum Guten wenden.
Kyros bittet einen der Seher um Rat, wie es als selbstverständliche Sitte im Rahmen derartiger Unternehmungen gilt. Alle Beteiligten geben große Stücke auf religiöse Riten. Opfergaben und Weissagungen haben einen hohen Stellenwert unter den Söldnern, egal wie fremd sie sich ansonsten sein mögen.
Xenophon erhält schließlich den Auftrag, den Männern mitzuteilen, die Eingeweide der Opfertiere ließen Gutes hoffen. Moralisch derart gestützt, gewinnen die Griechen an den Flanken in fester Formation und mit deutlichem Kriegsgebrüll bald die Oberhand und feiern einen strategisch cleveren Sieg. Kein einziger Grieche soll bis hierhin sein Leben gelassen haben.
"Es scheint schwerer, einen Mann zu finden, der das Glück, als einen, der das Unglück gut erträgt. Denn das Glück flößt den meisten Übermut ein, das Unglück Besonnenheit."
Jedoch Kyros kann den Sieg nicht halten. Der junge Mann (er ist zu diesem Zeitpunkt noch keine 20 Jahre alt) unterliegt im Zentrum der Kämpfe seinen Emotionen. Beim Anblick des verhassten Bruders stürmt er unbesonnen auf diesen los. Sein Angriff wird von der Leibgarde des Königs ausgebremst, er fällt, bevor er dem Bruder auch nur ein Haar krümmen kann. Artaxerxes lässt ihm den Kopf und die rechte Hand abschlagen.
Während dessen kämpfen seine Männer an den äußeren Flanken unwissend weiter, um einen sinnlosen Sieg zu erringen, während die Männer des Königs längst plündernd durch ihre Lager ziehen.
"Schnelligkeit ist in gut, aber Genauigkeit ist alles."
Die Griechen finden schließlich ein geschundenes Lager vor und erfahren erst am nächsten Morgen vom Verbleib ihres Anführers. Xenophon wird später behaupten, dass an diesem Tag der fähigere der beiden Brüder gestorben sei. Als kritischer Beobachter hielt er fiel von den Führungsqualitäten des jungen Kyros.
Dieser lässt nun ein schutzloses Heer zurück, dessen persischer Anteil direkt zum Feind überläuft. Die Griechen bleiben auf sich gestellt zurück. Es gereicht ihnen nun zum Glück, sich in der Schlacht dominant behauptet zu haben. Sie haben sich durch ihr unbeirrbares Auftreten einen Respekt verschafft, der ihnen zunächst einen Hauch von Sicherheit verschafft. Es folgen lediglich ein paar geringere Einzelkämpfe.
"Alle guten Anlagen bedürfen nach meiner Meinung der Übung, die Besonnenheit aber ganz besonders."
Letztendlich werden ihren Strategen für die restlichen Truppen unter Verhandlungen mit den Persern Waffenstillstand und freies Geleit zugesichert. Die Perser laden die Führungsspitze zur Besieglung dieses Abkommens sogar zu einem Festmahl, auf das sich diese gar zu bereitwillig einlassen. Es wird sich als Henkersmahlzeit herausstellen. Die griechischen Anführer finden zu diesem Mahl ausnahmslos den Tod.
Die griechischen Söldner sehen sich nicht mehr nur im Feindesland eingeschlossen, sie bleiben vollkommen führungslos zurück. Die Perser müssen allerdings entsetzt feststellen, dass die Griechen aufgrund ihrer Haltung nicht von einer einzelnen expliziten Führungsperson abhängig sind. Sie wählen schlicht neue Verantwortliche, unter ihnen Xenophon.
"Der wahre Test eines Anführers ist, ob seine Anhänger aus eigenem Antrieb an seiner Sache festhalten, die schwersten Entbehrungen ertragen, ohne dazu gezwungen zu werden, und in den Augenblicken größter Gefahr standhaft bleiben."
Ein solches Vorgehen ist ausschließlich in demokratisch organisierten Menschengruppen möglich. Individuell organisierte Personen sind weder von Hierarchien abhängig noch strikte Systeme von Befehl und Gehorsam gewohnt. Liegt ihrem Bestreben ein gemeinsames Wertefundament zugrunde, ist in Krisensituationen ein schnelles Umdenken möglich.
Anführer zeichnen sich in solchen Systemen in der Regel durch verbale Überlegenheit aus. Dies geriet nun Xenophon zu Nutze. Er findet in einer ergreifenden Rede die rechten Worte, um das komplett demoralisierte Heer wieder aufzurichten und schließlich ans rettende Ufer des schwarzen Meeres zu führen.
"Gewaltsam lässt sich ein Freund weder gewinnen noch halten, dagegen machen ihn Güte und liebesvolles Wesen zugänglich und anhänglich."
Der Weg dorthin ist lang und beschwerlich. Die geschwächten Krieger schlagen sich unter großen Verlusten gemeinsam durch das kurdische und armenische Bergland. Nachdem sie endlich die feindlichen persischen Gebiete hinter sich gelassen haben, setzen ihnen Hunger und Kälte bis aufs Äußerste zu. Xenophon beschreibt, wie einige der Söldner beginnen, um ihre Ermordung zu betteln.
Gutes Zureden und erfolgreiche Plünderungszüge halten den Rest der Truppen jedoch am Leben. Die Überfälle verhelfen den Söldnern nicht nur zu lebensnotwendigen Nahrungsmitteln, sie verschaffen ihnen außerdem einen fragwürdigen Reichtum. Das Heer wächst – bereichert durch geraubte Frauen und Bedienstete. Schließlich zählt sogar eine wachsende Anzahl Kinder dazu.
"Respektiert das nachwachsende Menschengeschlecht!"
Schließlich gelangt man an die Küste des schwarzen Meeres. Das Erreichen des Zieles wird von Xenophon mit den berühmten Worten beschrieben: „Und bald schon hören sie, wie die Soldaten ‚Das Meer! Das Meer!‘ rufen und wie das Wort von Mann zu Mann weitergegeben wird.“
Nach einigem Hin und Her geraten Schiffe in den Besitz der Griechen, die zumindest Frauen, Kindern und den nachhaltig Geschwächten eine Überfahrt in die sichere Heimat ermöglichen sollen. Die kampffähigen Soldaten jedoch sehen kein Heil in dieser Option.
Die Differenzen bezüglich des weiteren Verfahrens scheinen unüberwindlich. Die einen plädieren dafür, an Ort und Stelle eine griechische Stadt zu gründen, die anderen wollen möglichst viel Beute machen und dann reich nach Hause zurückkehren.
"Rechtschaffenheit lässt in keinem Falle die mindeste Mischung mit Ungerechtigkeit zu"
Die Diskussionen scheitern. Es kommt so weit, dass man entgegen den Sitten versucht einen allmächtigen Anführer zu wählen. Auch Xenophon wird aufgefordert, sich zur Wahl zu stellen, lehnt jedoch vorausschauend ab. Eine weise Entscheidung, denn das Experiment ist zum Scheitern verurteilt. Es erweist sich als unmöglich, den freien Männern die Meinung eines einzelnen Herrschers aufzudrücken. Das Modell wird nach wenigen Tagen wieder aufgegeben.
Das Wichtigste aber von dem, was dabei in Betracht kommt, haben die Götter sich selbst vorbehalten und den Menschen nicht offenbart.
Xenophon hatte es schon zuvor erkannt und die Männer in diesem Sinne leicht zusammenbringen können: „Keinem Menschen huldigt ihr, außer den Göttern!“
Eine Maxime, die im griechischen Heer durchweg gelebt wird. Die einzelnen Personen sind nicht durch Befehle aneinandergebunden, sondern durch eine gemeinsame Ideologie.
Sie sprechen dieselbe Sprache, zelebrieren gemeinsam religiöse Praktiken und sind, trotz unterschiedlicher Meinungen, nach außen hin stolz ein Volk. Selbst während der Feldzüge findet ein ausgleichendes Kräftemessen über sportliche Wettkämpfe statt. Die gemeinsamen Werte gelten als unabdingbar und werden notfalls unter starkem sozialem Druck durchgesetzt.
"Nächst den Göttern scheuet auch das ganze nachwachsende Menschengeschlecht. Denn nicht im Dunkeln verbergen euch die Götter, sondern eure Taten müssen vor das Angesicht der ganzen Welt treten."
Die Führungsgruppe wird permanent von einer Vollversammlung überwacht und ist dieser Rechenschaft schuldig. In diesem Kontext steht jedermann Kritik zu und Führungskräfte können mit Sanktionen für Fehlverhalten belegt werden.
"Wer aber das Lob liebt, der muss auch den Grund dazu erwerben"
Nach 15 Monaten und 5000 Kilometern wird das Heer schließlich an Thiubron übergeben und die Söldner finden hier erneut Anstellung.
Welche Schlüsse ziehen wir aus Xenophons Darstellungen?
Die Freiheit des Einzelnen und darauf basierende gemeinsam getroffene Entscheidungen sind, laut Xenophon, ausschlaggebend für den Erfolg einer Unternehmung, deren Zielfindung sich von vielen individuellen Einzelcharakteren abhängig zeichnet.
Machthaber dienen in diesem Zusammenhang als ausführende Persönlichkeiten, welche die Gesamtvorgänge scharf im Auge behalten und die Kompetenzen der Gruppe flexibel den veränderlichen Bedingungen anpassen können.
Sie heben das Ziel im Zweifel hervor und erinnern die Gruppe gegebenenfalls an gemeinsame Werte und Normen. Aufgabe der Führung ist es in solchen Systemen außerdem, über gemeinsame Rituale, Mitbestimmungsrechte, Transparenz, Kritik und Feedbackverfahren eine gemeinsame Identität zu schaffen, sodass sich jedes Mitglied der Gruppe freiwillig und aus eigenem Antrieb heraus auf das gemeinsame Ziel zubewegt, welches schließlich auch unabhängig von der Führungsperson erreicht werden kann.
Starre Machtverhältnisse und unverrückbare Hierarchien verhindern in diesem Zusammenhang ein flexibles Vorgehen und das vollständige Ausschöpfen des Potentials der gesamten Gruppe. Meinungen und Ideen müssen sanktionsfrei gehört werden können. Positionen sollten von den Menschen besetzt werden, welche sie im fraglichen Moment ihren Kompetenzen entsprechend am ehesten Ausfüllen und diese Kompetenzen sollten sie wiederholt unter Beweis stellen müssen.
Eine Unternehmung ist nur so vielversprechend, wie die Loyalität jeder einzelnen Person, die an deren Umsetzung beteiligt ist.
»Ich sehe meine Motivation vor allem darin, die Erwartungen meiner Klienten stets zu übertreffen.«
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